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 Der anglische Lunisolarkalender

Mein Freund im Geist der Materie, Dr. Andreas Zautner, Verfasser des Sachbuches: Der gebundene Mondkalender der Germanen (2017), hat diesen Aufsatz beigesteuert, der dem Leser die gewünschten Hintergrundinformationen zum Kalenderwesen vermittelt.

Andreas E. Zautner, Der anglische Lunisolarkalender

Um die Innschrift des Runenkästchens von Auzon in seiner Gänze verstehen zu können, ist es wesentlich, auch den Kalender der damals noch zu weiten Teilen heidnischen Angeln zu kennen. Die wichtigste Quelle für diesen Lunisolarkalender wurde von dem Benediktinermönch Beda Venerabilis, d.h. „Beda dem Ehrwürdigen“ verfasst. Beda wurde 672/673 in der Nähe der Stadt Wearmouth in Northumbrien, also in der Region, aus der das Runenkästchen stammt, geboren. Er war in seiner Zeit einer der bekanntesten Oster-Computisten, d.h. sein wichtigstes Anliegen war die international einheitliche Berechnung des beweglichen Osterfesttermines. Am 26. März 735 ist Beda Venerabilis im Kloster Jarrow verstorben.
In seinem Werk De Temporum ratione, was in etwa als „Von der Berechnung der Zeiten“ übersetzt werden kann, erklärt er verschiedene weltweit überlieferte Kalendersysteme. In dem Kapitel De mensibus anglorum beschreibt er dann – wie es der Titel suggeriert – sehr detailliert auch „Die englischen Monate“. Diese Quelle ist im Großen und Ganzen in sich so schlüssig und umfassend, daß sie hier vollständig in deutscher Übersetzung wiedergegeben werden soll:
Die alten Stämme der Angeln (Engländer) – denn es schien unpassend für mich, dass ich über die Unterteilung des Jahres bei anderen Völkern spreche, mich jedoch über die Sitten meines eigenen Volkes ausschweige – haben ihre Monate vom Lauf des Mondes abgeleitet. In Analogie zu den Gepflogenheiten der Hebräer und Griechen erhielten [die Monate] ihren Namen vom Mond, denn Mond heißt mona und der Monat monath. Der erste Monat, den die Lateiner Januar nennen, heißt Giuli, Februar heißt Solmonath; März – Hrethmonath; April – Eosturmonath; Mai – Thrimilchi; Juni – Litha; Juli gleichfalls Litha; August – Weodmonath; September – Halegmonath, Oktober – Winterfylleth: November – Blotmonath und Dezember – Giuli, in gleicher Weise wie auch der Januar bezeichnet wird. Sie begannen das Jahr mit der 8. Kalendae vor Beginn des „Januars“ [entspricht dem 25. Dezember; hier bezieht sich Beda auf Kapitel 11, wo er zeigte, dass der ägyptische Monat Phamenoth an der 5. Kalendae vor Beginn des März (24. Februar) begann. Da alle ägyptischen Monate 30 Tage lang sind, fällt der 26. Phamenoth auf den 22. März.], wenn wir die Geburt des „Herrn“ feiern. Diese Nacht der Nächte, die uns so heilig ist, wird von ihnen mit dem heidnischen Namen Modranecht bezeichnet, was „Mütternacht“ bedeutet, wahrscheinlich wegen der Zeremonien, die sie (wie wir vermuten) die ganze Nacht hindurch abhielten.

Wann immer ein gemeines Jahr war, gab es drei Mondmonate zu jeder Jahreszeit. Wenn jedoch ein Schaltjahr (das heißt, ein Jahr von 13 Mondmonaten) war, wiesen sie den zusätzlichen Monat dem Sommer zu, so dass insgesamt drei Monate den Namen Litha trugen. Aus diesem Grunde nannten sie diese Schalt-Jahre Thrilithi. So hatte ein solches Schaltjahr vier Sommermonate, bei den üblichen drei Monaten für die anderen drei Jahreszeiten. Aber ursprünglich teilten sie das Jahr als Ganzes in zwei Jahreszeiten, Sommer und Winter. Die sechs Monate, in denen die Tage länger sind als die Nächte, ordneten sie dem Sommer zu und die anderen sechs, [in denen die Nächte länger sind als die Tage], dem Winter. Daher nannten sie den Monat, in dem die Winterzeit begann, Winterfylleth, ein Name der sich aus „Winter-“ und „Vollmond“ zusammensetzt, da der Winter mit dem Vollmond dieses Monats begann.

Nun ist es eigentlich unerheblich, ob wir uns die Mühe machen, die Namen der anderen Monate zu übersetzen ... Die Monate Giuli leiten ihren Namen von dem Tag ab, an dem die Sonne (im Winter) wendet und sich wieder zu erheben beginnt, denn einer dieser Monate geht diesem Tag voran und der andere folgt diesem Tag. Der Solmonath kann auch als „Monat der Kuchen“ betitelt werden, nach den Kuchen, die sie ihren Göttern in diesem Monat anboten. Der Hrethmonath ist nach ihrer Göttin Hretha benannt, der sie in dieser Zeit opferten. Der Eosturmonath hat einen Namen, der heute als Passahmonat (Passah ist eine hebräische Bezeichnung für das jüdische Frühlingsfest) übersetzt würde. Er leitet sich ursprünglich von einer ihrer Göttinnen ab, welche Eostre genannt wurde und zu deren Ehren Feste in diesem Monat gefeiert wurden. Jetzt benennen sie die Passahzeit mit ihrem Namen, womit nun die Freuden der neuen Feierlichkeit mit dem Namen der altehrwürdigen Göttinnen geehrt werden. Thrimilchi wurde so genannt, weil in diesem Monat das Vieh dreimal täglich gemolken wurde. Zu dieser Zeit war die Fruchtbarkeit in Großbritannien oder Deutschland, von wo aus das Volk der Angeln nach Britannien kam, [am größten]. Litha bedeutet soviel wie „sanft“ oder „schiffbar“, weil in beiden Monaten die Lüfte still und sanft sind (Flaute). Darum pflegten sie zu dieser Zeit auf der glat- ten See zu segeln. Weodmonath bedeutet „Kraut-/Gras-Monat“, denn dieses sprosst sehr zahlreich zu dieser Zeit. Halegmonath bedeutet „Monat der heiligen Riten“. Winterfylleth kann mit dem erfundenen, zusammengesetzten Nennwort „Winter-voll“ [Wintervollmond; s.o.] bezeichnet werden. Blotmonath ist der „Monat der Opferungen“, denn das Vieh, das dann geschlachtet wurde, war ihren Göttern geweiht. Jesu Christi sei Dank dafür, dass er uns von diesen Nichtigkeiten abbrachte und uns [die Gnade] gewährte, ihm das Opfer unserer Lobpreisung darzubieten. (Übersetzung aus „Der gebundene Mondkalender der Germanen, ISBN 978-3-946425-44-1, Kommentare aus dem Englischen nach Wallis, 1999)

Bevor ich (nochmals) auf die einzelnen Namen der Monate eingehe sei gesagt, daß es noch eine weitere jedoch aufgrund von Brandschäden unvollständige Auflistung der anglischen Kalendernamen in der sogenannten Biblioteca Cottoniensis gibt. George Hickes hat diese 1705 unter dem Titel Antiquæ litteraturæ septentrionalis libbri duo, I: linguarum vet. sept. thesaurus der Öffentlichkeit zugängig gemacht. Er datiert das Kalenderfragment auf das Jahr 1031, womit es gut 300 Jahre jünger ist als der von Beda Venerabilis überlieferte Text. Die von George Hickes unter Zuhilfenahme von Bedas Schrift ergänze Monatsnamenreihe liest sich folgendermaßen:

1. æftera géola
2. solmónað
3. hlyda / hlydmónað
4. eosturmónað
5. maiusmónað
6. seármónað / miðsumormónað / ærra líða / juniusmónað
7. æftera líða / mædmónað / juliusmónað
8. weodmónað / augustusmónað
9. háligmónað / hærfestmónað
10. se teoðam, háligmónað
11. blótmónað
12. ærra géola / miðvintermónað.

Anders als Beda und George Hickes, die nach lateinisch-julianischer Tradition bei der Besprechung der Monatsnamen mit dem Januar begonnen haben, möchte ich mit dem ersten Wintermonat beginnen, denn die Angeln begannen laut Beda das Jahr mit dem Monat Winterfylleth, der den Beginn des Winters darstellte und damit auch der Jahresbeginn – das Neujahr – war. Die Angeln unterteilten das Jahr, wie bei Beda beschrieben, nur in die beiden Jahreshälften Winter und Sommer, und innerhalb eines Jahres ging der Winter dem Sommer voraus. Bei der Übersetzung der Monate muß man auch noch beachten, daß es sich bei den anglischen Monaten um Mond-Monate oder Lunarmonate handelt, die gegenüber den Monaten im julianischen Solarkalender eine gewisse Beweglichkeit aufweisen und daher zeitlich niemals vollständig einem julianischen Monat entsprechen können.

Winterfylleth bedeutet, wie es Beda schon gesagt hat, Winter-Vollmond. Der Monat selbst begann natürlich, wie alle anderen Monate auch, mit einer Neumondsichel, die innerhalb von 14 Tagen zu einem Vollmond zunahm, an dem der Beginn des Winters und das neue Jahr befeiert worden sind. Aus dem Skandinavischen kennen wir auch den Begriff Winternächte (Altnordisch: vetrnætr). Zu diesen Winternächten wurden, wie überliefert, Erntedankfest-ähnliche Feierlichkeiten abgehalten, der Ahnen gedacht und weiblichen Gottheiten, den Disen, gehuldigt. Auch in den deutschen Realglossaren wird dieser Monat als Wintermonat bezeichnet. Zeitlich entspricht der Winterfylleth am ehesten dem Oktober.

Der Blotmonath folgt auf den Wintervollmond. Der Begriff „Blót“ ist heute ausgestorben. Seine Bedeutung umfasst in etwa die Begriffe opfern, schlachten, heiligen und stärken. Etymologisch besteht eine Verwandtschaft zu dem Wort plustern/aufplustern. Die Grammatik des Verbes „blótan“ ist für moderne Menschen etwas gewöhnungsbedürftig, da das geopferte Tier hier ein Dativobjekt ist, während die Gottheit, der das Opfer gilt ein Akkusativobjekt ist (Beim Verb opfern ist es umgekehrt.). In der Regel „blotete“ man eine Gottheit mit dem Opfertier, das bedeutet man stärkt – mehrt die Macht der Gottheit (aufplustern) durch das Schlachten eines Opfertiers. D.h. ein heidnischer Angelsachse blotete z.B. Woden mit einem Pferdeopfer. Heute würde man stattdessen eher sagen, daß der heidnische Angelsachse dem Woden ein Pferd opferte. Dieses Schlachten fand in etwa in der Vollmondphase des Novembers statt. Auch in Schweden, Dänemark, den Niederlande und Deutschland ist der Schlachtmonat als Namenssynonym für November überliefert.

Die nächsten beiden Monate tragen bei Beda den Namen Giuli oder Geola. Das Textfragment der Biblioteca Cottoniensis unterscheidet hier zwischen einem frühen Geola (ærra géola) und einem späten Geola (æftera géola). Etymologisch handelt es sich hierbei um eine Bezeichnung für das noch in den nordischen Ländern bekannte Jul oder Julfest. Jul ist eigentlich ein Plural-Begriff und bedeutet so viel wie Festlichkeiten. Wie Beda schreibt, sind beide Monate irgendwie mit der Wintersonnenwende verknüpft, die er als Mütternacht (Modranecht) bezeichnet. Aufgrund von Bedas Ausführungen ist anzunehmen, daß in der Nacht der Wintersonnenwende weibliche Gottheiten, ähnlich den Matronen, bei den heidnischen Angeln verehrt worden sind.
Wie diese beiden Monate mit der Wintersonnenwende verknüpft sind, werde ich später bei der Beschreibung der Schaltregel des anglischen Lunisolarkalenders erklären.
In Anschluß an die beiden mit der Wintersonnenwende verbundenen Monate folgt der Solmonath. Beda schreibt zwar man könne diesen, weitestgehend mit dem Februar überlappenden Monat als „Monat der Kuchen“ übersetzen, da hier wahrscheinlich ein Akkulturation der römischen Parentalia (Gedenken an die verstorbenen Eltern – parentes) stattgefunden hat. Etymologisch richtiger ist hier vielmehr ein Suhlmonat, der sich von einer Suhle im Sinne von einer Pfütze oder Lache, bzw. von Schlamm und Morast ableitet. Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine Anspielung auf das Tauwetter, das die Suhlen mit Wasser füllt.

Bei Beda folgt nun ein etwas unklarer sogenannter Hrethmonath, den er einer Göttin namens Hretha zuschreibt, die jedoch außerhalb seiner Ausführungen nicht bekannt ist. Die Vorsilbe hréð- finden wir u.a. in hréðgotan (Hréð-Goten im Beowulf-Epos) was jedoch etymologisch auch schwer zu deuten ist. Ggf. besteht hier eine Beziehung zu einem Monatsnamen den wir in Appenzeller Chronik finden: Redmanot. Nach Karl Weinhold leitet dieser Monatsname von althochdeutsch hradi/redi bzw. altenglisch hrað/hreð ab und damit besteht eine Verbindung zu rebig, räbeln, rührig und sich rühren, was auf ein Erwachen in der Natur anspielt. Bei George Hickes finden wir einen ähnlich klingenden Monatsnamen: Hlyda oder Hlydmónað. Diesen Namen kann man als „Monat der laut tosenden Gießbäche“ übersetzen, was zumindest den Tauwasser-Anteil an der erwachenden rebigen Natur widerspiegelt.

Verhältnismäßig einfach zu deuten ist der Eosturmonath. Für den deutschen Leser ist dies sofort als Monat des Osterfestes zu erkennen. Das kommt daher, daß die Bezeichnung Ostern für das christliche und damit ursprünglich jüdische Passah-Fest durch angelsächsische Missionare nach Deutschland gekommen ist bzw. aufgrund der angelsächsischen Mission ist der gemeinsame vorbestehende Begriff beibehalten worden. Der Monatsname ist jedoch von einem heidnischen Vorläufer des christlichen Osterfestes abgeleitet, das zu Vollmond dieses Monats gefeiert wurde. Das anglische Osterfest ist damit auch der Beginn der zweiten Jahreszeit – des Sommers. Auch in Skandinavien ist dieses Fest als Várblót – Fühlingsopfer, oder Summarmála – Sommerbeginn bekannt gewesen. Beda führt den Namen auf eine heidnische Frühlingsgöttin Eostre zurück. Ihr Name kann als „die östliche Göttin“ verstanden werden und verweist wohl auf eine Göttin die im Osten der Grafschaft Kent verehrt worden ist, jedoch höchst wahrscheinlich einen anderen Hauptnamen hatte (Shaw, 2011). Jürgen Udolph führt den Namen des Osterfestes auf das mittelniederdeutsche Verb osen für schöpfen oder schütten zurück. Im Kontext der sprachhistorischen Belege war der Fühlingsanfang wohl auch ein heidnisches Fest mit einer Wasserweihe im Sinne eine Besprengung mit geweihtem Wasser (Udolph, 2011).

Den Mai bezeichnet Beda als Thrimilchi – Die Weidetiere hatten in dieser Zeit ihre Jungen geboren und konnten in dieser Zeit dreimal gemolken werden. In der Biblioteca Cottoniensis finden wir nur noch den Begriff Maiusmónað – also keinen ursprünglich altenglischen Monatsnamen.
Den sechsten und siebten Monat nennt Beda wie gesagt Litha. In Analogie zu den beiden Monaten Giuli oder Geola kennt die Biblioteca Cottoniensis auch hier eine Unterteilung in einen frühen Litha-Monat (ærra líða) und einen späten Litha-Monat (æftera líða). Das Wort Litha kann man, wie Beda schreibt, wirklich in etwa als „sanft“ oder „schiffbar“ deuten. In diesen beiden Sommermonaten herrscht eine „leichte“ Brise und die Angeln nutzten diese um auf der glatten See zu segeln. Darüber hinaus schreibt Beda auch noch, daß in Schaltjahren ein dritter Litha-Monat an diese beiden Monate angehängt worden war, und man diese Jahre demnach Trilitha-Jahre nannte. Dies ist ein wichtiger Aspekt der Monatsschaltung, der sich in skandinavischen Sprachrelikten bei den Monatsnamen wie tvímanuðr, also „Zwiemonat“ oder aukatungl, d.h. Erhöhungmonat, für den Juli bzw. August wiederfindet.
Ein weiterer anglischer Name, überliefert durch die Biblioteca Cottoniensis ist für den Juni Sere- oder Seármónað, was so viel wie trockener, dürrer oder heißer Monat bedeutet. Den Juli bezeichneten die Angelsachsen auch als Mædmónað – also als Monat der Heumahd.
Mit dem Weodmonath überliefern uns Beda und Hickes den anglischen Namen für den August, was schlicht so viel wie Monat des (Un-)Krauts (vgl. englisch weed) oder Grasmonat bedeutet.
Etwas spannender ist dann nochmal der letzte Monat, d.h. der 12. Monat in regulären Jahren, bzw. der 13. Monat in Schaltjahren, der einerseits als Hærfestmónað, d.h. als Herbstmonat bzw. im Sinne des englischen Wortes harvest auch als Erntemonat übersetzt werden kann. Überschneidend mit dem Namen für den Wintermonat wird dieser Monat auch als Háligmónað – also heiliger Monat bezeichnet, was den Übergang zum Winterfylleth und damit zum neuen Jahr schon ankündigt. Wie schon angedeutet fällt bei dieser Monatsnamenreihe auf, dass zwei Monatspaare Doppelmonate darstellen, was dem lunisolaren Charakter dieses Kalenders geschuldet ist. Der angelsächsische Kalender ist kein freier Mondkalender, sondern ein gebundener Mondkalender. Das bedeutet, der Mondkalender ist über einen festen Termin an den Sonnenumlauf gebunden und dieser Termin ist die Wintersonnenwende – die Mütternacht.
Beda überliefert uns zwar keine Schaltregel, aber aus skandinavischen Quellen sind uns zwei Arten von Merksprüchen für die Monatsschaltung überliefert. Die erste leitet sich von den schwedischen Disting-Regeln ab und lautet sinngemäß: Wenn eine Erstsichtung der Neumondsichel des späten Géola-Monats in den zwölf Nächten nach der Mütternacht (Weihnachten/beobachtbare Wintersonnenwende) zu beobachten ist, dann wird im gebundenen Mondkalender der Angeln im folgenden Jahr ein Schaltmonat, d.h. ein dritter Litha-Monat eingefügt und das Jahr wird zum Thrilíða-Jahr. Es umfasst also insgesamt dreizehn Monate. Sichtete man die Neumondsichel nach den zwölf Nächten, dann gab es nur zwei Litha-Monate im Sommer und insgesamt nur 12 Monate. Der heißt, der frühe Géola-Monat (ærra géola) muß sich also immer über die als Mütternacht bezeichnete, beobachtbare Wintersonnenwende erstrecken. Der im Anschluß folgende späte Géola-Monat (æftera géola) darf demnach frühestens unmittelbar nach der beobachtbaren Wintersonnenwende mit seiner Neumondsichel beginnen.
Eine übergeordnete Schaltregel stellte das sogenannte Neunjahr dar. In der germanischen Mythologie spielt die Zahl Neun an vielen Stellen eine bedeutende Rolle. Beispiele aus der skandinavischen Mythologie, wie die neun Töchter der Meerriesen Ägir oder die neun Welten finden sich zuhauf. Auch in der altenglischen Mythologie finden sich Beispiele wie etwa der altenglische Neun-Gewürze-Galster (englisch: Nine Worts Galdor, auch bekannt als Neunkräutersegen). Und auch in der Zahlenmagie des Runenkästchens spielt der Wert der Neunzahl eine bedeutende Rolle. Diese besondere Bedeutung der Neunzahl in der germanischen Mythologie hat ggf. zum Teil ihren Ursprung in einer weiteren übergeordneten Schaltregel des germanischen Lunisolarkalenders.
Aus Schweden kennen wir auch hierfür einen weiteren Merkspruch, der sich auf den Mythos des Sagakönigs Aun bezieht und im schwedischen Original folgendermaßen lautet:
„Tungle(t) skiuter tolf och tiog under Auni“
eine wörtliche Übersetzung wäre hierfür:
„Das Zungel (der Mond) schreitet zwölf und zwanzig unter Aun/im Neunjahr“

Mit diesem Merkspruch wird eine Schaltregel umschrieben, die bei den Griechen auch als Oktaeteris bekannt war. Wenn man einen solar fixierten Kalender, mit durchweg 30-Tage Monaten als Bezug nimmt, dann ist das Mondjahr 11 1⁄4 Tage kürzer als das Sonnenjahr. Demnach wandern die Mondmonate im Bezug zum Sonnenkalender – mit jedem Jahr aufgerundet – zwölf Tage vorwärts. Die entsprechenden Mondphasen in Bezug auf einen solchen solar fixierten Kalendermonat springen entsprechend der Merkregel 12 Tage nach vorne, wenn man dann jedoch den 30-Tage-Rahmen eines solchen solaren Kalendermonats übertritt, d.h. im Vormonat landen würde, dann macht man einen Sprung um plus 20 Tage, was dann eigentlich die entsprechende Mondphase des Folgemondmonats wäre, wenn man sich auf einen ungebundenen Mondkalender bezieht. Der oben genannten Merkregel folgend bedeutet dies, daß bei einem 12-Tage-Sprung kein Schaltjahr ist, d.h. ein Jahr besteht aus 12 lunaren Monaten. Bei einem 20-Tage-Sprung wird jedoch ein Monat eingeschaltet und wir haben 13 lunare Monate bzw. drei Litha-Monate.
Das besondere an dieser Schaltregel ist, daß man nach acht Sprüngen die jeweilige Mondphase, z.B. Vollmond, wieder an dem gleichen Datum beobachten kann. Nach inklusiver Rechenweise, wie wir sie von den Römern und Germanen kennen, liegt hier dann ein Neunjahr vor. Die antiken Griechen zählten das erste Jahr, das Jahr 0 im entsprechenden Zyklus nicht mit, und darum bezeichneten sie diesen Schaltzyklus als Oktaeteris. Innerhalb eines solchen Neunjahres wird dreimal ein 20-Tage-Sprung vollführt, d.h. es gibt drei Schaltjahre in einem Neunjahr, und fünfmal kommt es zu einem 12-Tage-Sprung und damit zu 5 regulären 12-Monats-Jahren je Neunjahr.

Der ober angenommen solar fixierte Kalender, der als Bezugsrahmen für die -12/+20-Schaltregel herangezogen worden ist, war möglicherweise ein Wochenkalender der das 365 Tage umfassende Jahr in 73 Fünf-Tage-Wochen sog. fimter (Fünfer) unterteilte, wie wir es von den Färöer kennen. Es gab 12 Wochenkalender Monate zu je 30 Tagen und 6 Fünf-Tage-Wochen, d.h. die Summe aller fimter in diesen 12 Wochenkalendermonaten betrug 72 und umfasste damit nur 360 Tage. Die eine verbliebene 73. Fünf-Tage-Woche ist demzufolge keinem Monat zugeordnet. Dieses monatslose fimt ist dann offensichtlich nach dem letzten Monat bzw. unmittelbar vor der beobachtbaren Wintersonnenwende eingefügt worden. Die beobachtbare Wintersonnenwende war demnach der 1. Tag (Neujahr) des Wochenkalenders. Desweiteren wurde jeder sechs fimter umfassende Monat in zwei Vierzehnernächte (eng. fortnight, altenglisch fēowertyne niht) unterteilt. Diese Vierzehnernächte, die im Prinzip Halbmonate sind, trugen im färöerischen Kalender zum Teil sogar eigene Halb-Monatsnamen.

Abschließend möchte ich noch auf das altenglische Menologium Poeticum hinweisen. Hierbei handelt es sich um ein in Stabreimen geschriebenes Kalendergedicht, das etwa auf das Jahr 1044 (1040-1066) datiert wird. In der alliterierenden Tradition, in der auch die Eddalieder stehen, wird hier ein bereits christlicher Jahreskreis dichterisch beschrieben. In dem Gedicht werden sowohl lateinische als auch einige der o.g. anglischen Monatsnamen benutzt. So treffen wir auf den Solmonath, Hlyda, Eastermonath, Thrymylce, ærra Líða, Weodmonath, Háligmónað, Winterfylleth, Blotmonath und ærra Iula. Die Monate werden zum Teil personalisiert und so zu Handlungstragenden der Geschichte. Auch treffen wir dort auf andere Relikte der heidnischen Begriffswelt wie z.B. middangeard – Mittgart, die Welt in der kosmographischen Mitte, in der die Menschen leben. Eine aktuelle Übersetzung des Menologiums ins moderne Englisch finden wir in „The Old English Metrical Calendar (Menologium)“ von Kazutomo Karasawa.

 

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